STARKER TYP: Johann Baptist Scholls pausbäckiger Germane für den Prinz-Emils-Veteranenverein hat sich vom missglückten Heroen zum gemütvollen Heiner Riwwelmaddhes gewandelt. (Foto: Claus Völker)
Nicht alles Historische ist allein schon, weil es historisch ist, schön, groß oder bedeutend. Die Denkmalkunst des 19. und 20. Jahrhunderts, zumal die nationalistisch-kriegerische, hat eine Fülle kleiner und großer Monstrositäten hervorgebracht, die uns heute ständig zwischen nostalgischer Großzügigkeit, geflissentlichem Übersehen und geschmacklichem Verriss schwanken lassen.
Man denke an die gewaltig „teutsch“ dreinblickende Germania des Niederwalddenkmals, an das unsägliche Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, an die vor noch nicht allzu langer Zeit massenhaft abgeräumten Bronze-Lenins oder auch an den sterbenden Löwen, der mit zwei gesplitterten Lanzen in der Brust, aufgerissenem Maul und dramatisch zum letzten Mal erhobener Pranke an der nördlichen Mauer des Darmstädter Residenzschlosses Taten und Sterben des Großherzoglich Hessischen Leibgarde-Infanterie-Regiments Nr. 115 rühmt.
Am 9. Juni vor 150 Jahren, am Geburtstag des Großherzogs Ludwig III. „vormittags präcis 10 Uhr“ wurde die feierliche Enthüllung eines anderen, etwas merkwürdigen Darmstädter Denkmals zelebriert, und zwar vor der Reiterkaserne auf dem Marienplatz. Der Prinz-Emil-Veteranenverein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, „den in den Schlachten und Gefechten von 1792 bis 1815 gefallenen Großherzoglich Hessischen Kriegern“ ein Denkmal zu setzen.
Johann Baptist Scholl der Jüngere (1818-1881), Sohn des gleichnamigen Hofbildhauers und Mitarbeiters von Georg Moller, hatte den Auftrag angenommen und jenes rührend komische Monument geschaffen, das seit 1902 im Herrngarten seinen Platz gefunden hat und im Volksmund als „Riwwelmaddhes“ bekannt ist.
In einem pseudogotischen Türmchen aus rotem Sandstein steht ein pausbackiger, vollbärtiger Germane mit gehörnter Sturmhaube, historisch falschem, aber dekorativem Schild und teutonischem Kurzschwert. Anders als bei Scholls gelungenen Portraitplastiken, die historisierend und idealisierend Landgraf Philipp den Großmütigen und Landgraf Georg den Frommen darstellen (heute im marktseitigen Schlosseingang), ist das Veteranendenkmal im Herrngarten eine weniger eindrucksvolle, um Bedeutung bemühte historistische Staffage.
Der Schritt vom Heroischen zum Komischen ist bekanntlich nur ein kleiner, und den kann man an diesem Monument besonders gut studieren. Bestürzend sind die übrigen drei Seiten des Denkmals, auf denen mit buchhalterischer Akribie alle Schlachten und Gefechte aufgelistet sind, an denen hessische Truppen in der Zeit zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongress teilgenommen haben. Da liest man unter anderem die Ortsnamen Mainz, Kaiserslautern, Jena, Stralsund, Wagram, Smolensk, Toledo, Pueblo de Montalaban, Leipzig, Wilna, Torgau, Straßburg und zählt insgesamt 72 Kriegsschauplätze, ohne recht einschätzen zu können, ob die Listenschreiber nun besonders stolz oder besonders traurig waren.
Wie anders diese Zeiten waren, wird vollends klar, wenn man die Einladung zur Denkmalsenthüllung liest. Mit beeindruckender Genauigkeit notiert das achtzehnköpfige Comité den gesamten Ablauf der Zeremonie samt der Aufstellung der Festgemeinde nach Nummern und Reihenfolge des Festzugs. Garnisonsschüler und Schülerinnen singen, begleitet von der Militärkapelle, das Kirchenlied Nr. 258 und bekränzen das enthüllte Denkmal mit Blumen.
Musik, Trommelwirbel, Fahnenmarsch und Präsentieren des Gewehrs durch die Veteranen-Unterofficiers-Compagnie sind ebenso minutiös geplant wie die Segnungen durch die Geistlichen beider Konfessionen, das Festgedicht, der Rückzug vom Monument und die Auflösung des Zuges samt dem anschließenden Festessen „zur Verherrlichung des Hohen Geburtstags Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs um 1 Uhr des Mittags“.
„. . . Wer nicht solch’ Denkmal ehrt, Heilig hält . . .“ Die zu diesem Anlass verfassten Gedichte und Lieder im Ton des damals üblichen vaterländischen Kitsches versteigen sich gar zu Ausrufen wie: „ . . . Wer nicht solch’ Denkmal ehrt, Heilig hält, unversehrt, Sey nicht der Ehre werth Hesse zu seyn.“
Nicht erst wir Heutigen haben unsere Probleme mit dergleichen Kriegerdenkmälern und der zugehörigen Pietätslyrik, schon unter den Zeitgenossen löste das Veteranendenkmal nicht nur Freude aus. Karl Bader überliefert in seinem Buch „Darmstadt im Festgewand und Trauerkleid“ von 1901 sehr kritische Einschätzungen. „. . .ein wahres Monstrum von Häßlichkeit“ sei es und „ein vollkommenes Schandmal“; man sprach sogar von „baulicher wie geistiger Missgeburt“, und einige forderten die sofortige Entfernung des auch politisch umstrittenen Denkmals.
Nur der Volksmund schaffte es, das sonderbare Denkmal durch treffende Namensgebung zu einem entschärften Requisit der Lokalgeschichte zu machen, denn er verwandelte mit der Sicherheit des Instinkts den missglückten Helden in eine komische Figur. Als Kostüm in Faschingszügen ist der „Riwwelmaddhes“ bekannt, als Maskottchen einer Zeitungskolumne und als Namensgeber einer Kneipe.
Plötzlich hatte das Ding einen Namen, und bis heute weiß keiner so recht woher. Die Quellen des Stadtarchivs klären nicht, ob der Unname vom Veteranen Mathias Riebel kommt, der Modell gestanden haben soll, oder doch vom Bäcker aus dem Watzeviertel mit der Vorliebe für „Riwwelkuche“, ob Riwwel die mundartliche Bezeichnung für militärische Abreibung ist, oder ob es schließlich, wie manche behaupten, aus der Zeit stammt, in der das Schwert des Kriegers abgebrochen war und er nunmehr aussah, als zähle er Geld, was auf Alt-Darmstädtisch „riwweln“ heißt.
Gleichviel, aus dem erhaben gedachten „altdeutschen Krieger“ wurde ein gemütlicher Heiner, der nach Art der Gallier Asterix und Obelix das Geschichtsbewusstsein im südhessischen Klein-Bonum wach hält.
Dieter
vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag